Geheiligter
Krieg?
By
Wilhelm
Nolte, TFF associate,
Hamburg
Meine Eingangsstatements als Teilnehmer am
Politischen Gespräch" des Ortsverbandes
Harrislee der SPD am 8.10.2001 im Gasthaus Isabella,
Harrislee, Süderstraße zum Thema
"Terror &endash; Herausforderung des Friedens.
"Gesprächsteilnehmer: Dirk Peddinghaus (BMVg), Klaus
Peter Heldt (BGS), Wilhelm Nolte (draft), Leitung: Dr.
Susanne Staemmler.
Militärische
Wahrnehmungen und Aussichten
Für viele hat sich die Welt seit dem 11.9.2001,
seit den Terrorakten in den USA, grundlegend
geändert. Seit gestern sieht die Welt auch für
mich anders aus. Bis gestern konnte man warnen,
appellieren, fordern, besser wissen, Optimismen
pflegen.
Seit gestern müssen wir von Krieg reden, - der am
11. September 2001 begann. Mit Clausewitz &endash; und
wenige Streitkräfte schätzen Clausewitz so sehr
wie die US-Streitkräfte - beginnt Krieg mit der
Verteidigung. Auch die Hamburger Kriegsursachenforschung
spricht von Krieg erst dann, wenn wenigstens zwei
Parteien &endash; ein Angreifer und ein Verteidiger
&endash; gegeneinander kämpfen.
Vor dem Gestern hatte der Gegner der USA nicht
erkennbar militärisch operiert, weder nach seinen
Kampfmitteln, noch nach seinen Organisationsstrukturen,
noch nach seinen Einsatzverfahren. Vor dem Gestern hatte
der Gegner der USA sich nicht zu seinem Angriff
erklärt. Ihren Angreifer, gegen den sich ihre
Verteidigung richten soll, haben die USA selbst
identifiziert und definiert.
Seit gestern bekennt sich der Gegner zu seiner
Gegnerschaft und kündigt weltweiten Terrorkrieg an.
Gestern haben die USA ihren weltweit und zugleich
langwierig gedachten Krieg gegen den Terror begonnen. Im
je eigenartig intendierten Terrorkrieg treffen sich
Gegner und Verteidiger - auch im Zielwert ihrer je
eigenartig gedachten Totalität:
Der Gegner will die USA vernichten. Die USA wollen den
Terror vernichten.
Ich habe mich heute früh gefragt, was bloß
ist Terrorkrieg? Was war Guerillakrieg?
Auf der Suche nach einer Antwort bin ich auf Mao Tse
Tung verfallen, der als siegreicher Experte für
Guerillakrieg gilt, und habe in der sog. Roten
Bibel" (Worte des Vorsitzenden Mao Tse Tung)
nachgelesen.
Da steht auf Seite 76.: Wir treten dafür
ein, daß der Krieg abgeschafft wird, wir wollen
keinen Krieg; man kann aber den Krieg nur durch Krieg
abschaffen, und wenn man will, daß es keine Gewehre
mehr geben soll, muß man die Gewehre in die Hand
nehmen."
Jede der Parteien will Frieden. Aber keine der
Parteien will den Gegner mit Gewehren, jede will ihn ohne
Gewehre, jede greift hierfür zum Gewehr.
Und auf Seite 100 steht: Wenn jemand über
uns herfällt und die Umstände für einen
Kampf günstig sind, wird unsere Partei unbedingt zur
Selbstverteidigung schreiten und den Angreifer
entschlossen, gründlich, restlos und
vollständig vernichten (man darf sich nicht
leichtfertig auf einen Kampf einlassen; wenn man den
Kampf aufnimmt, dann muss er zum Sieg führen)."
Die USA haben ihre Gegner über sich herfallen
sehen, sie erachten die Umstände für ihren
Kampf für günstig, sie schreiten nun unbedingt
zur Selbstverteidigung und wollen den Angreifer
entschlossen, gründlich, restlos und
vollständig vernichten. Auch die Gegner zeigen sich
in solcher Entschlossenheit.
Doch können die USA den Krieg gewinnen?
Schon Guerillakrieg hat sich in dem halben Jahrhundert
nach dem Zweiten Weltkrieg als eine Kriegsform erwiesen,
die mit herkömmlichen Streitkräften nicht oder
nur äußerst verlustreich zu gewinnen ist. In
der Regel gewinnt/obsiegt die Guerilla, gerade gegen
high-tech-gerüstete und noch so mächtige
Streitkräfte. (Vietnam und Afghanistan stehen
für einschlägige Erfahrungen der USA wie der
Sowjetunion).
Wir haben es in der Tat mit einer neuen Kategorie von
Krieg zu tun: Terrorkrieg. Der Gegner, der mittels Terror
kämpft, ist noch weniger sichtbar, noch weniger
greifbar, noch weniger fassbar als jede Guerilla. Ein
Terrorkrieg ist mithin umso weniger militärisch zu
gewinnen, um je mehr der Verteidiger sich auf
mächtige, high-tech-gerüstete und typisch
militärisch" geführte Streitkräfte
verlässt.
Kurz: je militärischer der Verteidiger, desto
geringer seine Siegchance im Terrorkrieg.
Zivile
Einschätzungen und Fragen
In dem Terrorangriff auf Amerika sehen viele, auch
Bundeskanzler Gerhard Schröder, einen Angriff auf
die Wertegemeinschaft der westlichen Welt. Hier stellt
sich mir die Frage, wie es um unsere Werteorientierung
und Wertebindung wirklich bestellt ist. Ich skizziere
hierzu drei Wertepaare:
a) Rechtsstaat & Augenmaß
(Verhältnismäßigkeit)
Bald nach den Terroranschlägen hat der
Präsident der USA, eine Art Oberhaupt" der
westlichen Wertegemeinschaft, gefordert, ihm den
verdächtigten Bin Laden dead or alive!"
vorzuführen. Unser oberster Wertehüter hat
nichts anderes als Lynchjustiz gefordert &endash;
fern/außerhalb von jeder Rechtsstaatlichkeit
&endash; und ohne jedes Augenmaß. Fernsehbilder aus
dem Amerika von heute zeigen solche Forderungen in aller
Öffentlichkeit in großen Fahndungsplakaten
&endash; etwa an Tankstellen &endash; wie zu Zeiten des
Wilden Westens".
b) Verantwortung & Menschenwürde
Gegenüber den in weit größeren Massen
binnen zweier weit geringerer Zeiträume durch
US-Streitkräfte in Hiroshima und Nagasaki
getöteten japanischen Menschen &endash; im Krieg und
durch diesen nur vordergründig legitimiert &endash;
haben sich die USA bis auf den heutigen Tag nicht
verantwortet", diese ihre ganz eigene
Massentötungsgeschichte haben sie bis heute nicht
offen und vorbehaltlos aufgearbeitet, den zigtausenden
getöteten Menschen haben sie ihre Würde bis
heute nicht zurückzugeben sich bemüht. Solange
Amerika dies nicht leistet, wird es ihm an
Glaubwürdigkeit gerade in der Behauptung einer
besonderen Wertebindung mangeln.
c) Liberalismus & Kapitalismus
Dieses Begriffspaar begründet die
Lebensgewohnheiten und Lebensansprüche der
westlichen Gesellschaften. Die Begriffe bedingen einander
und profitieren von einander, sie erzeugen und
gewährleisten in ihrem fortdauernden Zusammenwirken
unser Wohlergehen wie unseren Wohlstand. Sie scheinen mir
zugleich aber strukturell kriegsursächlich - nicht
für jeden oder einen bestimmten Krieg, wohl aber auf
der Ebene einer Tiefenstruktur von
Kriegsursächlichkeit. Liberalismus &
Kapitalismus fokussieren auf Vorteil und Gewinn, sie
schließen Benachteiligungen selbstredend ein, sie
fördern Empfindungen von Zurückbleiben und
Unterlegenheit, von Ausnutzung und Verlierertum. Sie
begünstigen syndromatische
Selbstunterschätzungen und erweisen sich als so
gerechtigkeitsfremd, wie sie Hass zu beleben
vermögen.
Die Terroristen haben ihre Angriffe nicht von
ungefähr auf herausragende Symbole der vorgeblichen
Wertebindungen gerichtet: auf den
Liberalismus&Kapitalismus in den
World-Trade-Kapital-Zentren, auf die Militärmacht-
und Streitkräfteführungszentren im Pentagon und
- wenn auch misslungen - auf den obersten
"Wertehüter", den Präsidenten im Weißen
Haus.
Friedensforscherliche
Einschätzungen
a) Wir machen Rückschritte/Schritte zurück
in eine
Krieg-als-selbstverständliches-politisches-Instrument-Politik
in eine Krieg-als-Nibelungentreuefall-Politik.
b) Wir machen auch Fortschritte", wir gehen
weiter in der Aufweichung herkömmlicher und
kriegsvölkerrechtlich mühsam verfestigter
Trennlinien zwischen:
Zivil und Militär:
Wir lernen, Terror als Krieg zu verstehen.
Frieden und Krieg:
Wir lassen uns auf einen "langen" Krieg einstimmen, nicht
auf Frieden.
Polizei und Soldaten:
Wir wollen immer häufiger militärisch
einsetzbare Polizei und polizeilich einsetzbares
Militär.
Wir gehen weiter in der Aufgabe, im Aufgeben, im
Hintanstellen des noch jungen Zielhorizontes
völliger Gewaltfreiheit, gerade in
Außenbeziehungen, jenes Zielhorizontes, unter dem
vor Jahren unter dem Eindruck der
weltuntergangsdräuenden Atomwaffen ein Nie
wieder Krieg!" zu gelten begonnen hatte, auch ein
ostdeutsch-westdeutsch-gemeinsames: Von deutschem Boden
soll nie wieder Krieg ausgehen.
Wir gehen weiter - und das ist sarkastisch gemeint -
in der Verwischung von Kernbegriffen, die unsere
Wertebindung einst unverwechselbar zu charakterisieren
vermochten. Wir sehen mit großen Augen, wie die
Amerikaner in Afghanistan mit den Bomben und Raketen
zugleich Lebensmittel und Versorgungsgüter abwerfen,
sprichwörtlich: Zuckerbrot und Peitsche".
Wir halten dies gar für löblich",
lässt es sich doch als humanitär"
andienen: humanitäres Bomben also - nach den sog.
humanitären Interventionen". So fällt ein
Abglanz von Humanität auf die Spreng- und
Zerstörungswaffen?
Fast wird die Kriegführung, die unsere Regierung
und ihre Opposition "ohne jeden Vorbehalt"
unterstützen, auf diese Weise irgendwie "geheiligt".
So stehen wir dann im eigenen, "humanitär" selbst
geheiligten Krieg - gegen die Kämpfer des
Heiligen Krieges"?
Wilhelm Nolte, Hamburg, 9.10.01
©
TFF & the author 2001
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